Kapitel 1-Ein Tag wie jeder andere
"Es war an einem Tag, vor ungefähr fünf Jahren. Eigentlich war er wie jeder andere auch. Grau, langweilig. Wie immer musste ich frühs um 6 Uhr aufstehen und mich für die Schule bereitmachen. Das passte mir so gar nicht. Schon in der Grundschule ärgerten mich alle, lachten mich aus. Und das nur, weil ich anders war. Ein Mädchen aus einem anderen Land, mit anderen Eltern, das eine andere Sprache sprach. Und vorallem weil ich anders aussah. Ich war nicht groß, schlank und blond- oder braunhaarig, sondern klein, mit langem feinem schwarzem Haar. Anscheinend hatten die Lehrer ebenfalls etwas gegen mich. Ich saß schon immer ganz hinten in der letzten Reihe. Dort, wo man mich leicht übersehen konnte. Ich hatte keine Freunde, zumindest in der Schule nicht. Und das war bis zu jenem Tag auch so geblieben. Wie jeden Tag schnappte ich meine Schultasche, drückte meiner Mutter einen dicken Kuss auf die Wange und ging widerwillig los in Richtung Schule. Meine Mutter und ich wohnten in einem Neubaublock in Berlin Tempelhof. Man merkte, das sie sich nicht wohl fühlte, zwischen den ganzen "anderen" Menschen, die ihr jeden Tag abtrünnige Blicke zuwarfen. Aber ich bekam immer nur zur Hälfte mit, was daheim geschah, da ich meistens mit den Nachbarskindern draußen spielte. Ja, uns kümmerte es nicht, woher wir kamen oder was wir für eine Sprache sprachen. Bei uns waren alle gleich. Am liebsten hatte ich eine kleine Chinesin namens Liang Chou. Sie war meine einzig wahre Freundin. Mit ihr teilte ich einfach alles:Meine Geheimnisse, meine Gefühle ...und meine Barbiepuppen!" Ayumi musste lächeln, als sie diesen Satz sagte. Ich hörte ihr immer noch gespannt zu. Plötzlich klopfte es an der Tür und die Heimleiterin stand fragend im Raum. Sie sagte:" Oh, Fräulein Marina, was machen Sie denn noch hier. Sollten sie nicht längst daheim sein. Und...oh, Ayumi! Warum bist du nicht in deinem Zimmer?" Ich erklärte ihr alles, und schließlich durften Ayumi und ich noch ein Weilchen sitzen bleiben und erzählen. "So, und was ist dann passiert, ich meine, als du in der Schule warst?", fragte ich aufgeregt. Ayumi überlegte einen Moment, bevor sie weitererzählte.
"Als ich in der Schule ankam, merkte ich schon, das etwas nicht stimmte. Normalerweise standen die anderen Kinder aus meiner Klasse auf den Fluren, erzählten, tobten herum, doch heute war es ruhig. Ich betrat den Klassenraum, doch niemand war da. Schnell rannte ich zum Büro der Direktorin und fragte aufgeregt, wo die anderen denn hin waren. "Aber Ayumi, ihr wolltet doch heute auf Klassenfahrt fahren, hast du das denn vergessen?" Oh nein, ich hatte es nicht vergessen. Die einzigen die etwas vergessen hatten, waren meine Klassenkameraden. Und das, was sie vergessen hatten, war mich. Traurig und wütend zugleich rannte ich aus dem Schulgebäude, stürmte in die nächstbeste U-Bahn und setzte mich auf einen der leeren Sitze. Ich musste bitterlich weinen. Das sie mich nicht leiden konnten, wusste ich ja, aber das sie mich einfach so allein lassen würden, hätte ich nicht gedacht. Naja, nach ungefähr einer halben Stunde kam ich wieder daheim an. Doch irgendwas war seltsam. Die Haustür stand offen! Ich ging hinein in die Küche und da sah ich ihn zum ersten Mal. Diesen Mann, mit den seltsamen Lederklamotten und den schmierigen Haaren. "Es ist besser, du gehst jetzt.", sagte meine Mutter zu ihm. Daraufhin packte er seine Sachen und ging zur Tür. Plötzlich drehte er sich um und sagte:"Denk dran, Yoshino, wir sehen uns heute Abend!" Dann schloss er die Tür hinter sich und ging. Ich sah verwundert in die Augen meiner Mutter und fragte sie, wer das war. Sie antwortete nur:"Ach Ayumi, der Mann wird uns reich machen. Er gibt mir Geld, weißt du? Und dann kann ich dir viele schöne neue Sachen kaufen." Hätte ich damals schon begriffen, wie verzweifelt meine Mutter gewesen war, wäre es bestimmt nicht soweit gekommen." ... Plötzlich ging die Tür des Versammlungsraumes abermals auf und wieder war es die Leiterin, die uns nun entgültig zu Bett schickte."Ok, Fräulein Marina, wir sehen uns dann morgen." Auf Wiedersehen, Ayumi!", sagte ich und ging zur Tür. Ich sah ihr noch nach, bis sie in ihrem Zimmer verschwand. Ich öffnete leise die Eingangstür und lief über den nassen Hof zu meinem Auto. Ich setzte mich hinein, startete und fuhr los. Daheim angekommen legte ich mich sofort in mein Bett, da mich ein plötzliches Gefühl von Müdigkeit überkam. Ich wollte gerade einschlafen, doch dann schossen mir auf einmal tausende Fragen durch den Kopf. Warum redete Ayumi heute abend ausgerechnet mit mir, wo sie doch uns Pflegern nie viel zu sagen gehabt hatte? Und warum so plötzlich? War ich dazu bestimmt, ihr zu helfen? Ich wusste es nicht genau, aber ich wollte ihr unbedingt helfen. Das stand fest, obwohl ich noch nicht wusste, wie .......